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Erfolgreicher Start: Interview mit Sabine Feuer von der Landesfachstelle für Barrierefreiheit

Neues Netzwerk Barrierefrei erteilt Rat zum barrierefreien Bauen

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Sabine Feuer, Bild: Mario Hochhaus

Der angestrebte Aufbau eines landesweiten Netzwerks Barrierefrei in Thüringen ist gelungen: Seit dem 11. März 2024 haben Bürgerinnen und Bürger, Behörden, Maßnahmenträger und Interessierte die Möglichkeit, sich mit ihren Fragen zum barrierefreien Bauen sowie zur barrierefreien Gestaltung von Außenlagen, Straßen und Verkehrswegen an ein neu aufgebautes Netzwerk von Beratenden zu wenden. Die Fachleute im Netzwerk der Landesfachstelle für Barrierefreiheit stammen aus den Bereichen Bau- und Verkehrsplanung, Ingenieurwesen sowie Innenarchitektur, Architektur und Landschaftsarchitektur.

Wir haben mit Sabine Feuer von der Landesfachstelle für Barrierefreiheit beim Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen (TLMB) und zuständig für den Hochbau gesprochen.

DAB: Frau Feuer, im Jahr 2022 startete der TLMB in Kooperation mit der Architektenkammer Thüringen eine Initiative für mehr Barrierefreiheit in Thüringen. Welche Ziele wurden damit verfolgt?
Sabine Feuer: In enger Zusammenarbeit mit der Architektenkammer sind bereits vor 2022 sehr gelungene Fachtagungen zu Themen einer ganzheitlichen barrierefreien Gestaltung durchgeführt worden. Die Resonanz an den Tagungen zeigte uns, dass wir mit dem Thema offene Türen einrennen.
Die Aufgabe, mehr Barrierefreiheit zu schaffen, gerät nicht zuletzt durch die demografische Veränderung und die Belastungen der sozialen Sicherungs- und Pflegesysteme immer mehr in den Fokus. Die Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit bei baulichen Anlagen ist zwar seit vielen Jahren gesetzlich geregelt, aber es gibt keine Prüfregularien. Barrierefreiheit ist ein gewisses Reizthema, aber warum? Die aus den Anfragen resultierenden Erfahrungen der Landesfachstelle für Barrierefreiheit zeichneten ein eindeutiges Bild, welches gleichsam Unsicherheit und Unwissenheit zum Umgang mit den Anforderungen an die Barrierefreiheit malt. Beides ist auf Bauherrenseite, Behördenseite, aber auch auf Seite der Planenden erkennbar. Wir fragten uns, wie wir damit umgehen wollen. Methode Brechstange funktioniert nicht, aber vielleicht mit Kontinuität und dem Einsatz von „Manpower“.
Ergo brauchen wir mehr Wissen und Qualität im Bauprozess und mehr Beratung, um die Herstellung von Barrierefreiheit langfristig zu gewährleisten. Folgende Ziele haben wir formuliert:

  • ein Netzwerk von qualifizierten Planenden aufzubauen,
  • im regelmäßigen Austausch zu sein,
  • flächendeckende Beratungen zur Herstellung von Barrierefreiheit anzubieten sowie
  • einen Wissenstransfer unter den Planenden in die Fläche und in die Praxis zu bringen.

Barrierefreiheit ist ein Querschnittsthema. Wenn Sie von einem Netzwerk für Barrierefreiheit sprechen, betrifft das mehr Bereiche als das Bauen. Wie gehen Sie damit um?
Unsere Landesfachstelle für Barrierefreiheit ist in drei Bereiche unterteilt: Bauen, Verkehr und Mobilität sowie Digitales. Zu allen Bereichen gibt es Schnittmengen. Für unser Netzwerk Barrierefrei haben wir zunächst die ersten beiden Fachbereiche gekoppelt, um ein gemeinsames Netzwerk und einen fachübergreifenden Austausch zu ermöglichen.

Auf den Aufruf der Architektenkammer unter Planungsbüros und freien Planenden, welche über Erfahrungen im barrierefreien Planen und Bauen verfügen oder die sich zukünftig stärker mit dem Thema auseinandersetzen wollen, meldeten sich knapp 60 Interessierte. Was ist seither passiert?
Die Interessensbekundung war der erste Schritt zur Gewinnung zukünftiger Berater. In den Jahren 2022 und 2023 sind wir mehrgleisig gefahren. Wir haben 2022 ein erstes Treffen mit den an Barrierefreiheit interessierten Fachleuten durchgeführt, um ihnen unsere Vorstellungen zu erläutern. Intern recherchierten und analysierten wir außerdem Bestehendes: Wie realisieren und finanzieren andere Bundesländer Beratungen zur Barrierefreiheit? Unter welcher Trägerstruktur finden Beratungen statt? Wie werden die Beratungsleistungen honoriert? Gibt es Feedbackmechanismen?
Von der Beratungsstelle Berlin konnten wir für unser Vorhaben am meisten profitieren. Parallel haben wir den potentiellen Beratern sieben verschiedene Qualifizierungsmöglichkeiten und Workshops zu Themen der Barrierefreiheit angeboten. In weiteren Netzwerktreffen diskutierten wir mit den zukünftigen Beratern intensiv über mögliche Verfahrensabläufe. Mitte 2023 baten wir die Interessierten, sich mit Nachweisen zu Qualifikationen und Referenzen zu bewerben. Sämtliche relevanten Rahmenbedingungen, Formulare des Verfahrens waren allmählich vorbereitet und mit der Verwaltung abgestimmt und
wir befanden uns Ende 2023 auf der Zielgeraden.

Was sind die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Beraternetzwerk?
Zunächst ist ein Bewerbungsverfahren vorgeschaltet. Potentielle Beratende können mit Nachweisen zur Qualifizierung und Referenzprojekten punkten. Die Prüfung der Unterlagen übernimmt die Landesfachstelle. Im zweiten Schritt wird ein Rahmenvertrag zwischen dem TLMB und dem Bewerber geschlossen. Außerdem teilt uns der Bewerber die Tätigkeitsschwerpunkte mit, zu denen er beraten möchte. Fachleute mit einer Zusatzqualifikation zum Sachverständigen für
Barrierefreiheit oder Fachplaner für Barrierefreiheit können dem Netzwerk direkt nach geschlossenem Rahmenvertrag beitreten.

Für die nächsten zwei Jahre wurden 18 Beraterinnen und Berater ernannt. Ist der Beraterkreis geschlossen oder offen für weitere Planende?

Nein, der Beraterkreis ist nicht geschlossen. Wir befinden uns in einem dynamischen Prozess. Für den Weg, den wir bis jetzt gegangen sind, gibt es keine Blaupause, wir wachsen und lernen gemeinsam im Netzwerk. So müssen mit weiteren fünf qualifizierten Bewerbern noch die Verträge abgeschlossen werden.
Es ist ein bisschen wie ein Experiment und ich danke den 23 Planenden, die die vergangenen anderthalb Jahre offen geblieben sind und mit uns gemeinsam mehr Barrierefreiheit für unser aller Zukunft schaffen werden.

Wie finden Ratsuchende den geeigneten Planenden für eine Erstberatung?
Die Ratsuchenden stellen ihre Anfrage beim TLMB. Antrag und zur Verfügung stehende Unterlagen werden durch die Landesfachstelle geprüft. Angedacht ist es, mit Hilfe der genannten Tätigkeitsschwerpunkte, der Region des Beratenden, angefragter terminlich freier Kapazitäten und eines Rotationsprinzips eine Vermittlung zwischen Ratsuchenden und Beratenden vorzunehmen.

Bei den Beratungen handelt es sich zwingend um Erstberatungen. Was sind üblicherweise die Themen, zu denen Fragen gestellt werden?
Bei den Erstberatungen kann es sich nur um grundsätzliche Auskünfte zur Barrierefreiheit handeln, dies wurde uns durch die anwesenden Architekten und Planer gespiegelt. Barrierefreiheit muss sehr früh, schon bei der Planungsaufgabe, mitgedacht und durch alle Leistungsphasen der Planung nachgehalten werden.
Nun muss man differenzieren: Der beratende Planer sollte nicht in Planungen Anderer eingreifen. Er soll keine Lösungen präsentieren oder planen. Er zeigt Wege zur Selbsthilfe auf, gibt Hinweise zu notwendigen Schritten, er weist auf Besonderheiten hin, erklärt Zusammenhänge und geht auf Nutzerverhalten ein. Erwähnt werden muss auch, dass die Erstberatung nur bis zur Genehmigungsplanung gewährt wird, also bis maximal Leistungsphase 3.
Aktuelle Fragestellungen drehen sich vorwiegend um Bestandsbauten, räumliche Zwangspunkte und gehen mitunter deutlich über die Leistungsphase 3 hinaus.
Es ist schwer, zum Beispiel in der Ausführungsplanung barrierefreie Nutzbarkeit noch zu heilen. Dies ist ein Grund warum das Barrierefrei-Konzept in vielen Bundesländern enorm an Bedeutung gewinnt. Planende können mit der kontinuierlichen Fortschreibung des Konzepts über alle Leistungsphasen hinweg die Parameter und die Anforderungen der Barrierefreiheit bei ihrem Bauprojekt prüfen und einhalten.

Wie geht es nach einer Erstberatung weiter?
Den Ratsuchenden werden Hilfestellungen gegeben und Wege aufgezeigt, wie sie Barrierefreiheit in ihrem Projekt umsetzen können. Fühlt sich der Ratsuchende bei dem Berater gut aufgehoben, so kann er nach der Erstberatung eine individuelle Beauftragung für das Projekt regeln.

Frau Feuer, vielen Dank für das Interview.

veröffentlicht am 26.03.2024 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspraxis, Berufspolitik / Kammerarbeit

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